Es droht nicht weniger als das Ende der unabhängigen Asylrechtsberatung in Österreich und die weitgehende Isolation von Schutzsuchenden. Genau das versteckt sich hinter der Verstaatlichung der Versorgung und Beratung im Asylbereich und der Schaffung einer „Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen“. Für Schutzsuchende und ihre Menschenrechte – die zugleich auch unsere Menschenrechte sind – ist das eine große Gefahr!
Im Jahr 2019 hat der österreichische Gesetzgeber eine fundamentale Änderung im Asylwesen beschlossen. Die wird sich verheerend auswirken:
Im Herbst 2018 kündigte der damalige Innenminister Herbert Kickl an, dass er die Versorgung und Rechts- bzw Rückkehrberatung von AsylwerberInnen verstaatlichen wolle. Die Aufgaben der Grundversorgung, Rechts- und Rückkehrberatung – bisher von NGOs und privaten Firmen im staatlichen Auftrag durchgeführt – sollen von einer dem Innenministerium unterstellten „Bundesagentur“ übernommen werden. NGOs sollten nach Ansicht des Innenministeriums „dieses Feld nicht mehr allein bearbeiten“. Kickl: „Ich will hier selbst kontrollieren.“
Anfang 2019 wurde von der ÖVP/FPÖ Regierung ein Gesetzesvorschlag präsentiert. Dieser Gesetzesvorschlag wurde im Begutachtungsverfahren von ExpertInnen aus der Wissenschaft, Zivilgesellschaft, internationalen Organisationen und Kirche heftig und grundsätzlich kritisiert: Mit der Verstaatlichung der Rechtsberatung wird das Recht auf ein faires Verfahren verletzt und werden rechtsstaatliche Grundprinzipien infrage gestellt.
Die ÖVP-FPÖ-Regierungskoalition ist auf diese fundierten Einwände nicht eingegangen und hat die Gesetzesvorlage im Wesentlichen unverändert dem Parlament vorgelegt. Der Nationalrat hat das Gesetz mit den Stimmen von ÖVP und FPÖ und den Gegenstimmen der gesamten Opposition (SPÖ, NEOS, Liste JETZT) am 16.05.2019 – am Tag vor der Veröffentlichung des Ibiza-Videos – beschlossen und dem Bundesrat zur Abstimmung übermittelt.
Trotz heftiger Kritik wurde das Gesetz am 29.05.2019 auch im Bundesrat mit den Stimmen der ÖVP und FPÖ beschlossen. Das Gesetz ist am 20.06.2019 in Kraft getreten.
Regierungsprogramm ÖVP-Grüne: An der Verstaatlichung der Rechtsberatung wird festgehalten
Trotz intensiver Bemühungen gelang es nicht, eine Rücknahme des BBU-Gesetzes zu erwirken. Im Gegenteil: Anfang 2020 präsentierten Regierungsprogramm bekannten sich die Regierungsparteien ÖVP und Grüne explizit zur Umsetzung der Verstaatlichung der Rechtsberatung und Versorgung von Schutzsuchenden.
Die Verträge mit den bisherigen Rechtsberatungsorganisationen ARGE Rechtsberatung (Diakonie Flüchtlingsdienst und Volkshilfe OÖ) sowie Verein Menschenrechte Österreich wurden Ende Februar 2020 gekündigt. Das bedeutet: Ab 1. Jänner 2021 haben Schutzsuchende in Österreich nur mehr Anspruch auf Rechtsberatung durch eine staatliche Bundesagentur.
Das Bundesministerium für Justiz konnte in Verhandlungen zumindest erreichen, dass die Weisungsfreiheit nicht nur Rechtsberater*innen in der konkreten Beratung zukommt, sondern auch der Bereichsleiter der Rechtsberatung in seiner Fachaufsicht weisungsfrei ist. Der Aufsichtsrat wurde etwas umgestaltet, ein Qualitätsbeirat eingeführt und ein erweiterter Leistungskatalog, der von der BBU zu leisten sein wird, beschlossen. Anfang Juli 2020 wurde Mag. Stephan Klammer, ein versierter Asylexperte als Bereichsleiter Rechtsberatung ernannt.
Sämtliche erreichte Verbesserungen ändern aber leider nichts am Grundübel: Die Rechtsberatung wurde verstaatlicht, die unabhängige Rechtsberatung abgeschafft – das staatliche Asylsystem kontrolliert sich selbst.
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Ab 2020 werden die Erstaufnahmezentren für Asylsuchende von der Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU) betrieben, ab Anfang 2021 soll die staatliche Agentur auch die Rechtsberatung, sowie die Rückkehrberatung übernehmen. Die Aufgaben der Bundesagentur sind die Durchführung
Diese Leistungen wurden bisher im Auftrag des Bundes überwiegend von externen LeistungserbringerInnen in den Bereichen Unterbringung, Rechtsberatung, Rückkehrberatung und Menschenrechtsbeobachtung erbracht.
Trotz heftiger Kritik wurde die Regierungsvorlage, die auf die Initiative des damaligen Innenministers Kickl zurückgeht, von den Regierungsparteien ÖVP und FPÖ am 16.05.2019 (einen Tag vor Aufkommen des Ibiza-Videos) im Nationalrat beschlossen, die Oppositionsparteien SPÖ, NEOS und Liste Jetzt votierten dagegen. Schon als die ersten Pläne zur Verstaatlichung der Rechtsberatung bekannt wurden, haben zahlreiche Prominiente, darunter auch Univeristätsprofessoren der Rechtswissenschaft wie Prof. Nowak, Prof. Benedek, Prof. Tretter, Prof. Mayer, Prof Ennöckl, Prof. Brandl und der derzeitige Justizminister Prof. Jabloner in einem offenen Brief eindringlich vor einer drohenden Verletzung des Grundrechtes auf ein faires Verfahren gewarnt.
Auch der UNHCR hat massive Bedenken in einer Stellungnahme zum Gesetzesentwurf angemeldet:
„Besonders wichtig erscheint die Einbindung zivilgesellschaftlicher Organisationen im Bereich der Rechtsberatung und -vertretung von Asylsuchenden, da für ein faires und effizientes Asylverfahren die Unabhängigkeit der Beratung und Vertretung eine wesentliche Voraus-setzung ist. Die Verlagerung dieser Tätigkeit in eine Bundesagentur, die zu 100% im Eigentum des Bundes steht und in welcher der Bundesminister für Inneres ausschlaggebende Einflussnahme auf die wesentlichen Entscheidungen hat, scheint mit dem Erfordernis der Unabhängigkeit in Widerspruch zu stehen und gefährdet daher die Rechtsstaatlichkeit im menschenrechtlich höchst sensiblen Bereich des Flüchtlingsschutzes.“
Flüchtlinge sollen in einem sehr komplexen rechtlichen Ablauf mitwirken, kennen aber die Gesetze und die Verwaltungspraxis nicht und verfügen auch nicht über Kenntnis der deutschen Sprache, um sich ins Verfahren gut einbringen zu können. Rechtsberater unterstützen Asylwerberinnen dabei. Rechtsberatung wird für verschiedene Verfahren, von denen Asylsuchende betroffen sein können, angeboten.
2011 wurden mit der ARGE Rechtsberatung und dem Verein Menschenrechte Österreich, die sich für die vom Innen- und Justizministerium ausgeschriebene Rechtsberatung beworben haben, Verträge abgeschlossen. Den beiden Organisationen werden je zur Hälfte die KlientInnen zugewiesen.
Am Beginn des Asylverfahrens, wenn die Zuständigkeit Österreichs für die Prüfung der Asylgründe bezweifelt wird, erfolgt eine rechtliche Beratung im sog. Dublin-Verfahren. Bis zur Entscheidung über die Zuständigkeit sind Rechtsberater auch rechtliche Vertreter für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge.
Entscheidet das BFA in erster Instanz negativ über den Antrag, hat der Asylwerber das Recht, eine kostenlose rechtliche Beratung für das Beschwerdeverfahren zu erhalten. Diese Beratung hilft beim Verfassen einer Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Wenn der Asylwerber es wünscht, hat der Rechtsberater den Flüchtling wie ein Anwalt zu vertreten. Wird beim Gericht eine Verhandlung durchgeführt, muss der Rechtsberater teilnehmen.
Rechtsberater werden auch dann kostenlos zur Verfügung gestellt, wenn das BFA Schubhaft anordnet. Sie helfen eine Maßnahmenbeschwerde gegen die Haft einzulegen.
Die Aufgaben der Rechtsberater bleiben im Wesentlichen wie bisher, es ist aber durch die gemeinnützige Agentur BBU, die das Innenministerium kontrollieren wird, die Unabhängigkeit der Rechtsberatung nicht mehr gewährleistet. Die Beratungsverträge mit den NGOs wurden Ende Februar 2020. Die Agentur wird ab 2021 auch die Rechtsberatung übernehmen.
Eine qualitätsvolle, unabhängige Rechtsberatung im Interesse der Asylsuchenden, bei der Betroffene auch Vertrauen fassen können, ist für faire und gute Asylverfahren essentiell.
Die Tätigkeit sollte sich an Standards der RechtsanwältInnen orientieren, um das Recht der Asylsuchenden, beraten, vertreten und verteidigt zu werden, zu gewährleisten. Anwälte sind unabhängig von öffentlichen Stellen und können nicht zur Zusammenarbeit mit denselben oder zur Informationsherausgabe verpflichtet werden. Dadurch wird das zur Wahrnehmung der Interessen des Flüchtlings notwendige Vertrauen hergestellt.
Im Gegensatz dazu soll durch die BBU „die faire, realistische und objektive Rechtsberatung als Beitrag zur öffentlichen Aufgabe der effektiven und raschen rechtsstaatlichen Verfahrensführung wiederhergestellt werden“. Weiters hat der Gesetzgeber eine neutrale Darlegung und Aufklärung über die Erfolgsaussichten im potentiellen Beschwerdeverfahren durch eine „unparteiische“ Rechtsberatung vorgesehen und will Beschwerdeverfahren mit einer sehr geringen Erfolgsaussicht unterbinden.
Personen, die aus den verschiedensten Gründen in ihr Herkunftsland zurückkehren wollen oder müssen (z.B. negatives Asylverfahren, erkrankte Angehörige im Herkunftsland) können sich an die Rückkehrberatung wenden. Derzeit sind die Caritas Österreich und der Verein Menschenrechte Österreich vom BM.I mit der Durchführung der Rückkehrberatung beauftragt. Dort werden die Möglichkeiten eines legalen Aufenthalts in Österreich sowie die Lebensmöglichkeit im Herkunftsland besprochen. Dabei ist es in Hinblick auf die „Freiwilligkeit“ der Rückkehr wichtig, dass die Entscheidung über eine Rückkehr der/dem KlientIn überlassen wird und diese ihren (teilweise auch eingeschränkten) Handlungsspielraum nutzen können. Die langjährige Erfahrung zeigt, dass der Erfolg und die Nachhaltigkeit einer freiwilligen Rückkehr nur durch umfassende Informationen und eine freie Entscheidung gewährleistet sein können. Zusätzlich zur Beratung selbst werden die KlientInnen auch praktisch bei ihrer Heimreise unterstützt – unter anderem durch die Organisation der Heimreise, dem Beschaffen eines Reisedokuments oder auch durch den Transport zum Flughafen.
Die europäische „Rückführungsrichtlinie“ (RICHTLINIE 2008/115/EG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger) gibt klar vor, dass eine freiwillige Rückkehr einer erzwungenen Außerlandesbringung (Abschiebung) vorzuziehen ist.
Die Zielgruppe der Rückkehrberatung sind jedoch nicht nur AsylwerberInnen, deren Asylverfahren negativ beendet wurde, sondern generell Drittstaatsangehörige (Nicht-EU Bürger) und Personen, die einen Aufenthaltstitel beantragt haben, aber noch auf eine Entscheidung warten (z.B. AsylwerberInnen im laufenden Verfahren oder Drittstaatsangehörige, die einen Aufenthaltstitel beantragt haben), sowie Personen mit aufrechtem Aufenthaltsstatus (z.B. Asylberechtigte, subsidiär Schutzberechtigte, InhaberInnen der Rot-Weiß-Rot-Karte etc.).
Entscheiden sich Personen für eine freiwillige Rückkehr, werden sie durch eine finanzielle Starthilfe unterstützt. Diese beträgt maximal 500 Euro pro Person, wobei die genaue Höhe in jedem Fall vom BFA (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl) festgelegt wird.
Ab Jänner 2021 soll die Rückkehrberatung von der BBU durchgeführt werden. Hier ist zu befürchten, dass die Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit des bisherigen Beratungsangebotes gefährdet sind: Menschen, die irregulär aufhältig sind und aus diesem Grunde Angst haben, mit Behörden in Kontakt zu treten, haben eventuell Vorbehalte sich an die BBU zu wenden, obwohl sie eine freiwillige Rückkehr in Erwägung ziehen. Auch jene, die sich noch im laufenden Asylverfahren befinden, haben gegebenenfalls Hemmungen, sich bei derselben Behörde, die auch über den Asylantrag entscheidet, hinsichtlich der Möglichkeit einer freiwilligen Rückkehr zu erkundigen.
Hilfsbedürftige AsylwerberInnen haben einen Rechtsanspruch auf Grundversorgung. Die wesentlichen Leistungen der Grundversorgung sind Unterbringung in geeigneten Unterkünften unter Beachtung der Menschenwürde und der Familieneinheit, angemessene Verpflegung, Krankenversicherung, Bekleidungs- und Schulgeld, Freizeitgeld, Taschengeld, sowie Betreuung, Beratung und Information. Während des ersten Teils des Asylverfahrens ist der Bund für die Durchführung der Grundversorgung zuständig, während des zweiten Teils die Länder.
Entsprechend der EU-Aufnahmerichtlinie sind für besonders „schutzbedürftige“ AsylwerberInnen (Vulnerable) – wie unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, Kinder von Geflüchteten, psychisch Kranke, Traumatisierte, alleinstehende Frauen, Pflegebedürftige, Menschen mit Behinderung, LGBTIQ-Personen,… – eine ihren Bedürfnissen entsprechende Betreuung vorzusehen. Dafür braucht es z.B. eine Identifizierung von besonders schutzbedürftigen Personen, professionelle pädagogische, psychosoziale und psychologische Betreuung, Zugang zu entsprechenden therapeutischen Maßnahmen, Maßnahmen zur Verhinderung von Übergriffen und geschlechtsbezogener Gewalt, Barrierefreiheit, etc.
Soll Grundversorgung staatlich oder privat organisiert sein?
Entscheidend ist nicht, ob Grundversorgung staatlich oder privat angeboten wird, sondern dass entsprechende Qualitätsstandards eingehalten werden, die derzeit in der Grundversorgung-Bund nicht ausreichend sichergestellt sind. Wichtig sind hierbei externe Kontrollmechanismen um die Einhaltung der Standards zu prüfen. Besonders wichtig ist, dass das eingesetzte Personal professionell ausgebildet ist und dass es ein Qualitätsmanagement gibt, das den Rechtsansprüchen und dem geforderten Schutz von Flüchtlingen Rechnung trägt. Im Rahmen von Dachverbänden und Fachgremien wurden hier Qualitätsleitlinien und -standards entwickelt, die durchaus Vorbildcharakter haben. Wichtig ist auch, dass unbegleitete minderjährige Geflüchtete von Beginn an dem Kindeswohl entsprechend unter Aufsicht der Kinder- und Jugendhilfe untergebracht werden.
Wer bietet Grundversorgung derzeit an?
Die Grundversorgung durch den Bund ist derzeit an die gewinnorientierte Firma ORS ausgelagert, die jedoch in ihrem Handeln direkt dem Innenministerium untersteht. Die Grundversorgung durch die Bundesländer wird derzeit sowohl von kirchlichen und privaten gemeinnützigen Organisationen, als auch von gewinnorientierten Unternehmen angeboten. Ein Großteil der Grundversorgung auf Landesebene wird von kirchlichen und privaten nicht auf Gewinn ausgerichteten Organisationen sichergestellt, die oft zusätzlich Spendengelder einsetzen, um eine adäquate Betreuung von Menschen in der Grundversorgung sicher zu stellen.
Ab 01.12.2020 wird die Grundversorgung ausschließlich von der staatlichen BBU GmbH durchgeführt werde. Zuständiger Leiter ist Thomas Gamsjäger-Allain, der bisher im Innenministerium gearbeitet hat. Ein Großteil der Angestellten des bisherigen Dienstleisters ORS GmbH sollen übernommen werden.
Was ist zukünftig geplant?
Die Grundversorgung durch den Bund soll ab dem 1. Dezember 2021 eine Aufgabe der Bundesagentur (BBU GmbH) werden. Dies ist insbesondere problematisch, da die Bundesagentur ein geschlossenes System ist, zu der die Zivilgesellschaft keinen Zugang mehr haben wird.
Viele NGOs haben in der Betreuung und Unterbringung jahrzehntelange Erfahrung und daher eine umfassende Expertise und sind in der Regel parteiisch für Geflüchtete tätig. Sie sollten zukünftig in die Grundversorgung-Bund stärker einbezogen werden und gesicherte Zugangsmöglichkeiten haben. AsylwerberInnen haben während ihres Aufenthaltes in der Betreuungsstelle des Bundes ein lediglich geduldetes Aufenthaltsrecht in dem Bezirk der Betreuungsstelle, sie können nicht von sich aus Beratungsstellen von NGOs aufsuchen. Dies ist insbesondere problematisch, da z.B. Rechtsmittel gegen eine Einschränkung oder den Entzug von Grundversorgungsleistungen künftig von RechtsberaterInnen einzulegen wären, die jedoch im selben geschlossenen System beschäftig sind. Innerhalb der BBU Gmbh werden somit Entscheidungen über den Entzug von Leistungen sowie über Rechtsmittel dagegen getroffen. Das ist ein klarer Interessenskonflikt und kann dazu führen, dass die Anliegen der AsylwerberInnen nicht vertreten werden und sie ihre Rechte nicht effizient durchsetzen können. Der Kontakt zu NGOs und der Zivilgesellschaft ist insbesondere wichtig, um einen Zugang zu unabhängiger Information und Beratung sicher zu stellen.
In Grundversorgungsquartiere des Bundes haben grundsätzlich nur MitarbeiterInnen des Innenministeriums und der Firma ORS Zutritt. Für MitarbeiterInnen von NGOs oder Freiwillige, die sich ehrenamtlich in der Betreuung engagieren möchten, besteht grundsätzlich kein Zugang.
Mit der BBU wird ein System geschaffen, in dem ausschließlich staatliche Institutionen arbeiten. Sämtliche AkteurInnen der Zivilgesellschaft werden ausgeschlossen und können auch nicht mehr beobachten, was innerhalb dieser „Blackbox“ passiert. Damit entsteht ein komplett geschlossenes System. Es besteht somit die Gefahr, dass dieses mangels durchgehender externer Kontrolle fehleranfällig und qualitativ ungenügend agieren wird.
UNHCR hat in seiner Stellungnahme zum Gesetzesentwurf eindringlich davor gewarnt, ein derartiges geschlossenes System wie die geplante Bundesagentur zu etablieren und empfohlen, auch in Zukunft AkteurInnen aus der Zivilgesellschaft und deren Expertise als Unterstützung und gegebenenfalls hilfreiches Korrektiv zur bestmöglichen Vermeidung von Fehlleistungen in das Asylsystem einzubinden.
Besonders dramatisch könnte sich dieses System in der Schubhaft auswirken, wenn die im direkten Einflussgebiet des Innenministeriums angesiedelte BBU dafür verantwortlich ist, Beschwerden gegen rechtswidrige Schubhaftbescheide zu erheben, die das ebenfalls direkt dem Innenministerium unterstellte Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erlassen hat.
Im Asylverfahren wird die Entscheidung, ob eine Person Asyl bekommt, in erster Instanz vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) getroffen. Die Fehlerquote dieser – dem Innenministerium unterstellten – Behörde ist erschreckend. Derzeit müssen 42 % der negativen Bescheide des BFA im weiteren Verfahrensverlauf wieder aufgehoben. Anders gesagt: Unabhängige Richter/innen kommen bei fast der Hälfte der asylrechtlichen Entscheidungen des BFA zu dem Schluss, dass diese fehlerhaft oder rechtswidrig sind. Wenn die rechtliche Vertretung von Asylsuchenden einer Bundesagentur des Innenministeriums übertragen wird, wächst die Gefahr, dass solche rechtswidrige Entscheidungen nicht mehr revidiert werden, weil die Betroffenen keinen Zugang zu einem wirksamen Rechtsschutz haben.
In Österreich gibt es seit Jahrzehnten die Diskussion darüber, ob die Versorgung von schutzsuchenden Personen von staatlichen oder privaten AkteurInnen durchgeführt werden soll. Die Umsetzung einer EU-Richtlinie führte im Jahr 2014 dazu, dass die Rechtsberatung vom Staat an die ARGE Rechtsberatung und den Verein Menschenrechte Österreich ausgelagert wurde.
Es gibt keinen Zweifel daran, dass die Pflicht zur Gewährleistung menschen- und europarechtlicher Standards grundsätzlich die Staaten trifft. Diese Pflicht bedeutet aber nicht, dass der Staat diese Aufgaben auch selbst umsetzen muss, sondern im konkreten Fall, dass der Staat verpflichtet ist, die Beratung von schutzsuchenden Personen im Einklang mit menschen- und europarechtlichen Vorgaben organisieren muss.
Der Staat muss sich daher dafür einsetzen, dass die Interessen der Betroffenen gewahrt bleiben, eine Kollision mit staatlichen Interessen vermieden wird und die Betroffenen einen effektiven Zugang zum Rechtssystem haben.
Die Verstaatlichung der Rechts- und Rückkehrberatung bedeutet im konkreten Fall, dass Personen, die faktisch dem Innenministerium unterstehen, die Beratung gegen Entscheidungen einer anderen, dem Innenministerium weisungsgebundenen Behörde, vorzunehmen haben. Eine Interessenskollision zwischen jenen der Betroffenen und jenen des Staates ist vorprogrammiert.
Auch eine formelle Weisungsfreiheit der BeraterInnen ändert daran nichts: Die Bundesagentur steht im Weisungsbereich des Innenministeriums. Es besteht eine organisatorische, finanzielle und personelle Nähe zum Innenministerium, die geeignet ist, dass Vertrauen der Betroffenen zu den BeraterInnen massiv zu erschüttern.
Weiters ist durch die Verstaatlichung der Rechts- und Rückkehrberatung nicht mehr gewährleistet, dass Missstände erkannt und abgestellt werden. Die Kontrolle des Systems durch externe Akteure wird de facto ausgeschaltet. Dies schafft Intransparenz und den Nährboden für willkürliches Behördenverhalten.
Hinsichtlich Rechtsberatung
Länder wie Frankreich, Finnland oder Großbritannien, die immer wieder als Vorbilder für die BBU angeführt werden, haben kein System der staatlichen Rechtsberatung (die Rechtsberater sind hier beim Staat angestellt), sondern lediglich ein System der staatlichen Verfahrenshilfe: Hier prüft eine Behörde, ob ein Rechtsmittel Aussicht auf Erfolg hat, bevor in weiterer Folge eine unabhängige und unentgeltliche Rechtvertretung zur Seite gestellt wird (z.B. durch NGOs oder AnwältInnen). Falls diese Behörde eine staatliche ist, können ihre Entscheidungen jedenfalls von einem unabhängigen Gremium überprüft werden.
Während einem System der staatlichen Verfahrenshilfe grundsätzlich nichts entgegensteht, muss hervorgehoben werden, dass das nicht das ist, was das BBU-G vorsieht. Das BBU-G sieht vor, dass die RechtsberaterInnen, die einem/r AsylwerberIn bei einer Beschwerde zur Seite stehen, genauso dem Innenministerium unterstellt sind wie jene, die über den Asylantrag in erster Instanz entschieden haben. Ein Interessenskonflikt ist hier vorprogrammiert.
Hinsichtlich Grundversorgung
In Deutschland gibt es seit 2018 in einigen Bundesländern sogenannte Ankerzentren, die der BBU ähneln: Hier werden Asylwerber zentral untergebracht bis klar ist, ob sie als Flüchtlinge anerkannt werden oder wieder ausreisen müssen. In diesen Zentren sind zudem alle beteiligten Behörden vertreten. Ein Jahr nach Inbetriebnahme der Ankerzentren sind diese höchst umstritten. Hilfsorganisationen kritisieren, dass die Unterbringung oft auf engstem Raum erfolgt und dass es keine Rückzugsmöglichkeiten gibt. Darüber hinaus gibt es kaum einen Einblick von außen, da der Zugang von Ehrenamtlichen und NGOs stark eingeschränkt ist.
Auch in der Schweiz sind die Bundesasylzentren nicht öffentlich zugänglich. Erst wenn das Asylverfahren länger dauert, werden die Asylsuchenden in die Betreuung der Kantone zugewiesen. Durch gemeinnützige Beschäftigungsprojekte können die Asylsuchenden Kontakte mit der Zivilgesellschaft knüpfen.
Hinsichtlich Rückkehrberatung
Im europäischen Vergleich zeigt sich, dass eine Rückkehrberatung durch staatliche Behörden selbst die Ausnahme darstellt. Die meisten nationalen Systeme bieten Mischformen an. Das heißt, neben staatlicher Rückkehrberatung bestehen ebenso Angebote von zivilgesellschaftlichen Organisationen, Kommunen oder auch IOM (International Organisation for Migration).
Ein Blick auf die von IOM erhobenen Zahlen der im Jahr 2018 freiwillig ausgereisten Personen spricht klar dafür, dass eine Rückkehrberatung durch NGOs, die der Erfüllung von Qualitätsstandards verpflichtet ist, auch zu entsprechenden Rückkehrzahlen führt:
Freiwillige RückkehrerInnen 2018
1. Deutschland 15,942
2. Griechenland 4,968
3. Österreich 3,469
4. Belgien 2,795
5. Niederlande 2,149
Keiner der Staaten in den Top 5 verfügt über eine rein staatliche Rückkehrberatung. In allen Ländern sind NGOs, Kommunen oder IOM in die Rückkehrberatung involviert.
Österreich belegt hier den dritten Platz und stellt sogar eine Ausnahme dar: Es ist das einzige Land, in dem die Rückkehrberatung ausschließlich von NGOs durchgeführt wird.
Die Beratung, Versorgung und Betreuung von AsylwerberInnen wird durch das Budget des Innenministeriums, des Justizministeriums und durch europäische Förderung (amif) finanziert.
Für die Rechtsberatung ist eine Vergütung pro Betreuungsfall rechtlich festgelegt. Je nach Bereich sind die Fallpauschalen gestaffelt (Zulassungsverfahren, Beschwerdeverfahren, Verhängung der Schubhaft gemäß fremdenpolizeilichen Verfahren), im Schnitt 225 Euro. Damit sollen nicht nur die Personalkosten, sondern auch Kosten wie Dolmetscher, Infrastrukturkosten oder Fahrtkosten von Asylsuchenden oder der Rechtsberater abgedeckt werden. Für die Teilnahme des Rechtsberaters an einer Verhandlung bei Gericht beträgt die Pauschale 234 Euro (inkl.).
Die aktuellen Entgelte sind für die Rechtsberatungsträgerorganisationen nicht kostendeckend. Allein die Diakonie als eine von zwei Teilorganisationen in der ARGE-Rechtsberatung wird im Jahr 2019 voraussichtlich mehr als 860.000 Euro eigenfinanzieren müssen.
Wie beim Verein Menschenrechte mit der unzureichenden Finanzierung umgegangen wird entzieht sich unserer Kenntnis.
Das Innenministerium gibt als Kalkulationsgrundlage nur noch ein Entgelt in der Höhe von 135,67 Euro pro Beratungsleistung an. Das lässt nur 2 Schlüsse zu: Entweder das Ministerium hat sich verrechnet oder rechnet damit, dass die Beratung und rechtliche Unterstützung massiv eingeschränkt wird – weniger Zeit für die Beratung eingeräumt wird und weniger Beschwerden verfasst werden.
Das vom Innenministerium mit der Grundversorgung beauftragte Unternehmen ORS erhält den GV-Tagsatz, aber auch eine Basisfinanzierung. Wie hoch diese ist, ist ein gut gehütetes Geheimnis. Das Innenministerium hat bei der Kalkulation der erwarteten Kosten bei Übertragung der Bundesbetreuung an die BBU 183 Euro pro Person und Tag angenommen. Dieser Tagsatz übersteigt den in der Grundversorgung mit den Ländern akkordierten Kostenhöchstsatz in der Höhe von 21 Euro um ein Vielfaches.
Die Rückkehrberatung wird durch Projektförderung finanziert. Dabei spielt das europäische AMIF-Programm eine bedeutende Rolle. Im Zeitraum 2017 bis 2019 wurden rund 14,7 Mill. Euro bereitstellt, wobei knapp die Hälfte aus dem Budget des BMI aufgebracht wird.
DolmetscherInnen und ÜbersetzerInnen wird im BBU Konzept wenig Bedeutung beigemessen. Ob die Agentur mit vorgesehenen 15 Stellen ab dem 2. Halbjahr tatsächlich über ausreichende Ressourcen verfügen wird, ist fraglich. Derzeit greifen die Behörden auf einen Pool an sprachkundigen Personen zurück, die Ihre Leistungen auf Honorarbasis abrechnen. Das wird auch künftig möglich sein.
Die Anzahl der Asylanträge ist 2018 weiter auf 13.746 Anträge gesunken, das ist ein Rückgang um 45 % von 24.735 im Jahr 2017. Im Jahr 2016 wurden 42.073 Asylanträge eingebracht.
Von den 27.593 Asylentscheidungen in 1. und 2. Instanz wurden 14.696 positiv entschieden, somit in 47,6 % Fluchtgründe im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt, bei 12.897 Anträgen wurde der Antrag zurückgewiesen, weil Österreich sich nicht zuständig erklärte oder weil keine Asylgründe festgestellt wurden. Bei 4.191 von 11.048 dieser Entscheidungen wurde aber ausgesprochen, dass eine Abschiebung in den Herkunftsstaat nicht zulässig ist, weil ein ernsthafter Schaden für Leib und Leben zu befürchten ist, die Sicherheitslage also Grund zu Besorgnis gibt. Somit liegt im Jahr 2018 die Quote bei subsidiärem Schutz bei 38 %. Schließlich haben die Asylbehörden bei 1.848 Fällen eine humanitäre Aufenthaltsbewilligung erteilt, weil familiäre oder persönliche Gründe eine Abschiebung ebenso aus menschenrechtlichen Erwägungen verbieten.
Oft wurde der Schutzstatus erst im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zuerkannt. 29.200 Beschwerdeverfahren wurden 2018 beim Bundesverwaltungsgericht entschieden. Davon waren 17.350 Verfahren mit Asylzusammenhang (Anträge auf internationalen Schutz, humanitäre Aufenthaltstitel und Aufenthaltsbeendigung), 1.450 Verfahren gemäß Dublin-III, 850 Verfahren zu Schubhaft und sonstigen Maßnahmenbeschwerden, der Rest betraf Visaanträge.
Das Bundesverwaltungsgericht hat 38 % der Entscheidungen der 1. Instanz aufgehoben oder abgeändert, bei Beschwerdeverfahren afghanischer Flüchtlinge beträgt die Behebungsquote sogar über 50 %!
Zahlen zur Grundversorgung:
Die Versorgung und Betreuung von Asylsuchenden und Schutzberechtigten teilen sich Bund – das Innenministerium – und Bundesländer. Die Betreuung durch den Bund soll künftig durch die BBU erfolgen. Die Anzahl der Personen in Grundversorgung ist in den letzten Jahren wieder rückläufig.
Insgesamt per 31. Dezember 2019: 30.878 Personen (Dezember 2018: 43.140; Dezember 2017: 61.310, Dezember)
Durch den Bund per 31. Dezember 2019 betreut: 1.354 (Dezember 2018: 1.042 Personen; 2017: 1.724). Davon waren 1.097 AsylwerberInnen im laufenden Asylverfahren (2018: 898; 2017: 1.564)
Zahlen Rückkehr:
Jänner bis Juni 2020: auf freiwilliger Basis reisten 1.646 Personen aus, zwangsweise wurden 1.843 außer Landes gebracht.
2019: 5.568 freiwillige Ausreisen, zwangsweise 6.677
2018: 5.665 freiwillige Ausreisen, zwangsweise 6.946
2017: 5.064 freiwillige Ausreisen, zwangsweise 6.910
Schubhaft:
Jänner bis Juni 2019: 2.058mal hat das BFA Schubhaft oder gelinderes Mittel verhängt
2019: 4.849 Schubhaftverhängungen
2018: 5.000 Schubhaftverhängungen
2017: 4.627 Schubhaftverhängungen
2016: 2.434 Schubhaftverhängungen
1. Juli 2003
1. November 2011
16. Oktober 2018
15. März 2019
12. April 2019
24. April 2019
9. Mai 2019
16. Mai 2019
17. Mai 2019
20. Mai 2019
22. Mai 2019
27. Mai 2019
29. Mai 2019
19. Juni 2019
20. Juni 2019
9. August 2019
6. Dezember 2019
27. Dezember 2019
2. Januar 2020
28. Februar 2020
4. Mai 2020
1. Juli 2020
3. Juli 2020
1. Dezember 2020
1. Januar 2021
1. Januar 2021